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Datenschutz verbessert, aber immer noch europarechtswidrig

Neues Polizei- und Ordnungsbehördengesetz


Am heutigen Tag hat der Niedersächsische Landtag ein neues Polizei- und Ordnungsbehördengesetz mit zusätzlichen Befugnissen zur Datenverarbeitung beschlossen. Zuvor fanden umfangreiche Ausschussberatungen statt, an denen sich die Landesbeauftragte Barbara Thiel intensiv und letztlich erfolgreich beteiligt hat. „Der vorgelegte Gesetzentwurf war datenschutzrechtlich ein Torso und indiskutabel“, so Thiel. „Daher habe ich in der Anhörung deutliche Kritik geübt, die durch die Stellungnahmen des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes erfreulicherweise in vielen Teilen bestätigt wurde.“

Viele Forderungen der LfD übernommen

„Wir werten es als großen Erfolg für unsere Bemühungen, dass der Gesetzestext an zahlreichen Stellen zugunsten eines verbesserten Datenschutzes überarbeitet wurde,“ so die Landesbeauftragte. Beispielsweise darf das neue Überwachungsinstrument der sog. elektronischen Fußfessel nur von einem Richter angeordnet werden. Gleiches gilt für Aufenthaltsvorgaben, Kontaktverbote oder für längerfristige Meldeauflagen. Der Gesetzentwurf sah diese Richtervorbehalte anfangs nicht vor. Für die Videoüberwachung im öffentlichen Raum sind erstmals Höchstspeicherfristen vorgesehen. Bildmaterial darf im Regelfall nur sechs Wochen gespeichert werden. Durchgängig im Gesetz sind nunmehr auch datenschutzrechtliche Verfahrensvorschriften verankert, die eine wirksame Datenschutzkontrolle durch die Landesbeauftragte ermöglichen. So sind u. a. heimlich durchgeführte polizeiliche Maßnahmen besonders zu begründen und zu dokumentieren. Gestärkt werden auch die Kontrollmöglichkeiten des Parlaments gegenüber der Polizei bei besonders grundrechtsrelevanten Eingriffsbefugnissen.

Verfassungswidrige Zustände in der Polizei beendet

„Positiv am neuen Gesetz ist auch, dass der Gesetzgeber zahlreiche Forderungen aufgreift, die ich in der Vergangenheit wiederholt erhoben habe“, so Thiel weiter. So gibt das neue Gefahrenabwehrrecht nunmehr den Rahmen vor für den Einsatz von Bodycams, die Videoüberwachung zur Verkehrsüberwachung und für die streckenbezogene Geschwindigkeitskontrolle (Section Control). „Die mit diesen Maßnahmen verbundene Datenverarbeitung wurde bisher von der Polizei ohne ausreichende Rechtsgrundlage durchgeführt. Dieser verfassungswidrige Zustand wird nunmehr beseitigt.“ Beim Thema Section Control ist allerdings fraglich, ob das Land für diese Form der Geschwindigkeitsmessung die Gesetzgebungskompetenz besitzt.

Online-Durchsuchung und Quellen-TKÜ bleiben unzulässige Eingriffe in die Freiheitsrechte und Gefahr für die IT-Sicherheit

Dennoch ist das neue Polizei- und Ordnungsrecht an vielen Stellen weiterhin aus Sicht des Datenschutzes korrekturbedürftig. Die Eingriffsschwellen für viele polizeiliche Maßnahmen werden ohne stichhaltige Begründung herabgesetzt. So können z. B. die Online-Durchsuchung oder die elektronische Fußfessel schon im Vorfeld einer konkreten Gefahrenlage angeordnet werden. „Die neuen polizeilichen Befugnisse der Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung lehne ich nach wie vor ab, da diese Maßnahmen tief in die Grundrechte der betroffenen Zielpersonen eingreifen und den Einsatz sogenannter Staatstrojaner erfordern.“ Thiel weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass staatliche Behörden bewusst Sicherheitslücken in der IT offenhalten müssen, um Staatstrojaner einsetzen zu können. Dies aber widerspreche der staatlichen Pflicht, die IT-Infrastruktur umfassend vor Cyberangriffen zu schützen.

Gesetz bleibt europarechtswidrig

Schließlich übt die Landesbeauftragte deutliche Kritik an der fehlenden Umsetzung europäischer Vorgaben zum Datenschutz. So setzt das neue Gesetz die seit dem 06. Mai 2018 geltende JI-Richtlinie nicht in nationales Recht um. Damit werden die Daten von Bürgerinnen und Bürgern im Bereich der Gefahrenabwehr und Straftatenverhütung nach wie vor europarechtswidrig verarbeitet. „Immerhin haben die Koalitionsfraktionen und das Innenministerium angekündigt, diesen europarechtswidrigen Zustand durch eine weitere Gesetzesnovellierung zügig beenden zu wollen“, so Barbara Thiel. „Daran werde ich die Beteiligten zu gegebener Zeit erinnern.“

Kennzeichenlesegerät derzeit verfassungswidrig

Neben dem europäischen Recht müssen in das neue Gefahrenabwehrrecht auch noch aktuelle Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zum sog. Kennzeichenlesegerät eingearbeitet werden. Das Gericht hatte entsprechende Regelungen in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen Ende 2018 für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgebern eine Frist zur Nachbesserung bis Ende 2019 eingeräumt. Unter anderem darf die anlasslose und alle Fahrzeuge erfassende Kennzeichenkontrolle ausschließlich zum Schutz wichtiger Rechtsgüter eingesetzt werden. Die Polizei darf die erfassten Daten auch nur mit gesetzlich genau definierten Datenbeständen abgleichen. Beide Vorgaben fehlen bisher in der niedersächsischen Regelung. „Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtages hat hier zu Recht den Finger in die Wunde gelegt und die derzeitige Vorschrift als verfassungswidrig bezeichnet“, so die Landesbeauftragte.

„Alles in allem hat die Landesregierung mit der heutigen Verabschiedung des neuen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes daher bedauerlicherweise erneut ihre Hausaufgaben im Datenschutz nur zum Teil erledigt.“


Pressemitteilung als PDF-Download.


Artikel-Informationen

erstellt am:
14.05.2019
zuletzt aktualisiert am:
27.06.2019

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